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Titel
| STRAUBINGER
fühlen, was eine Kettensäge ist!“ So würde
der dortige Denkmalschutz schreien. Bei uns
ist das liberaler.
Straubing war ja auch einmal gotisch und
damit baumlos am Stadtplatz. Aber den
Kastanien vorm Stadtturm will zum Glück
keiner ans Blatt; keiner wirft denen „ungo-
tische Umtriebe“ vor, oder „vom Stadtturm
ablenken“, oder „zu grün ums Geäst“. Bei
uns will keiner, dass es zu einem Ketten-
sägenmassaker am Fischbrunnen kommt,
zum Nachteil unschuldiger Kastanien. Strau-
bing ist bunt. Andererseits: Der Umwelt-
ausschuss lässt ständig Bäume umhauen;
warum nicht die auch? Falls man doch einmal
zu dem Entschluss kommen sollte, dass ein
Kettensägenmassaker dem mittelalterlichen
Stadtcharakter förderlich wäre: ich wär dafür!
Aber bis dahin finde ich Maracuja-Eis toll.
Früher hat man Passionsfrucht gesagt, aber
heute sagt man Maracuja, ich weiß nicht,
warum. Manchmal ändern sich Dinge, dann
sind zum Beispiel manche Bäume am Stadt-
platz verboten und dann wieder erlaubt und
dann wieder nicht, warum das so ist, weiß der
Himmel; es ist so abwechslungsreich auf dem
Stadtplatz. Und der Pasquale und der Poldi im
Stadtturm dürfen seit einiger Zeit Stühle raus-
stellen, obwohl man noch vor wenigen Jahren
ganz sicher wusste, dass dann der Himmel
einstürzen würde, und wir alle wären dann
ruiniert.
Aber jetzt kann man da so schön sitzen. Der
Himmel ist nicht eingestürzt. Wir sind alle
nicht ruiniert. Wir sitzen nur da, schlecken
ein Maracuja-Eis und spüren die Frühlings-
sonne, mehr ist nicht passiert, es ist sonst
kein Unterschied. Nur zwischen Passions-
frucht und Maracuja ist ein Unterschied, aber
kein großer. Die Passionsfrucht ist nur etwas
kleiner und purpurfarben, die Maracuja ist gelb
bis orange. Aber dem Handel ist das egal. Der
sagt manchmal Passionsfrucht und manchmal
Maracuja, so wie er manchmal Mohrrübe sagt
und manchmal Möhre, und irgendwann hab
ich den Sebastian Schießl erreicht.
Wer so etwas kann,
der muss der
Frühling sein!
„Grüß Gott, Herr Schießl“, habe ich gesagt,
„Sie haben die niedrigen Temperaturen in den
Eisbecher verbannt, ich hab’s selber gelesen!
Wer so etwas kann, der muss der Frühling
sein! Ich will Sie deshalb gradheraus fragen:
Herr Schießl, sind Sie der Frühling?“ Aber der
Sebastian Schießl hat gelacht und gesagt:
„Nein, bin ich nicht! Aber ich hoffe, dass ich
ein Frühlingsbote bin.“
Der Frühling ist bunt.