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Leben
| STRAUBINGER
„The Velvet Underground & Nico“, das 1967 er-
schienene Debüt von The Velvet Underground
& Nico, erwähnt wird, muss auch dem Letzten
klar sein, dass dahinter Methode steckt. Das
Handbuch, aus dem hier schon mehrfach zitiert
wurde, heißt zwar „Kolumne leicht gemacht“,
beschreibt aber eingehend die Schwierig-
keit, ein passendes Thema für eine Kolumne
zu finden. Manchmal findet sich ein solches
Thema auch erschreckend einfach – wie im Fall
der vorliegenden. Da erreichte den Schreiber
eines Nachmittags der Anruf der Redaktions-
leiterin des STRAUBINGER mit dem freund-
lich-bestimmten Hinweis, dass das Frühjahr in
Riesenschritten nahe – und damit der Abgabe-
termin für die nächste Ausgabe. Genau in dem
Moment schweifte der Blick des Angerufenen
vom dichten Schneetreiben vorm Fenster auf
die vor ihm auf dem Schreibtisch liegende Aus-
gabe des Musikmagazins „Rolling Stone“. „Die
besten Debütalben aller Zeiten“ prangte da auf
dem Cover. Nach dem Überfliegen des 18-sei-
tigen Specials (Gähn! Zehn Prozent minus)
war der Schreiber um die Erkenntnis reicher,
dass drei der besten sechs Debütalben aller
(!) Zeiten im Jahr 1967 erschienen. Das kann
kein Zufall sein – wohl aber das Thema für eine
Musikkolumne.
Nun darf man den geschätzten Kollegen des
„Rolling Stone“ unterstellen, dass sie mit der-
artigen Listen in erster Linie Diskussionen an-
regen wollen. Hendrix auf Platz fünf, Pink Floyd
auf sechs gehen ja auch in Ordnung. „The
Velvet Underground & Nico“ auf Platz eins ir-
gendeiner Liste zu setzen, verbietet sich aber
schlichtweg (außer vielleicht bei der Auflistung
der langweiligsten, verkopftesten und schlecht
gemischtesten Platten aller Zeiten). Der
Schreiber hat es jedenfalls noch nie geschafft,
das Album in einem Zug durchzuhören. Und er
kennt auch keinen, dem das je gelungen wäre.
Der unlängst von uns gegangene David Bowie
soll nach dem Hören einer Testpressung sinn-
gemäß gesagt haben, dass es mit dem Spaß in
der Rockmusik nun vorbei sei, was man mit viel
gutemWillen noch als verstecktes Lob für das
Kunst-Happening verstehen kann. Dagegen
schienen die Beteiligten selbst alles andere als
glücklich mit dem Ergebnis: „I want to sound
like Baawwwhhhb Deee-lahhhn!“, jammerte
Model/Sängerin Nico, weil es offenbar eben
nicht so klang. Und Gitarrist Lou Reed ereiferte
sich später über die Arbeit im Studio: „Es gab
die Regel, dass jeder gefeuert würde, sobald
er ein Blues-Lick spielt.“ Aber immerhin: Das
Cover, die weltberühmte Banane von Andy
Warhol, hat die letzten 50 Jahre unbeschadet
überstanden.
Schade, dass das keiner
mehr mitkriegt
Wie gesagt, über Sinn und Unsinn solcher
Listen lässt sich vortrefflich streiten. Und auch
darüber, ob das Jahr 1967 nun ein besonders
gutes für die Rockmusik im Allgemeinen (im-
merhin folgte im Juni 1967 das wirklich bahn-
brechende Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club
Band-Album der Beatles) und für Debüts im
Speziellen war. Ziemlich borniert ist die Be-
hauptung, dass die besten Debütalben aller
Zeiten schon veröffentlicht worden seien – noch
dazu vor fünf Jahrzehnten. Ich weiß nicht, wie
es Ihnen geht, liebe Leser, aber der Schreiber
freut sich da lieber auf all die ausschweifende,
formatierte, flimmernde, langweilige, monu-
mentale, verkopfte, bluesige oder bahnbre-
chende Musik, die da noch kommt. Egal, ob
sie nun klingt wie Baawwwhhhb Deee-lahhn
oder nicht. Schade nur, dass diese Erkenntnis
hier am Ende dieser Kolumne kaum noch je-
mand mitkriegt.
Epilog: Kurz vor Abgabeschluss dieser Ko-
lumne erreichte uns die Nachricht, dass der
Verlag das noch gar nicht erschienene Hand-
buch „Kolumne leicht gemacht“ zurückzieht.
Allem Anschein nach, um es noch einmal
gründlich zu überarbeiten.