Gäubodenvolksfest 2023

22 Gäubodenvolksfest 2023 Vor 125 Jahren: Das erste „von eigener Hand arrangirte“ Straubinger Volksfest Von Dorit-Maria Krenn Das Gäubodenvolksfest hat heuer wieder ein Jubiläum. Denn 1898 war ein entscheidendes Jahr für das Straubinger Volksfest. Vor 125 Jahren beschlossen die Stadtväter das Volksfest selbst zu veranstalten und damit die Abhängigkeit vom bisherigen Organisator, dem Landwirtschaftlichen Verein Bayerns, der seit 1812 für die Kreisfeste verantwortlich war, abzuschütteln. Vorausgegangen war ein Streit: Straubing hatte sich um die Austragung des Landwirtschaftsfestes für Niederbayern beworben, wäre durchaus auch nach Passau, Deggendorf und Zwiesel in den Vorjahren wieder an der Reihe gewesen. Doch der Kreisausschuss des Landwirtschaftlichen Vereins entschied sich für Passau. 1898 war also das erste „von eigener Hand arrangirte“ Volksfest in Straubing. ♦ Aufruf zum Boykott des Festes Im Vorfeld sorgte aber nicht nur der Landwirtschaftliche Verein für Aufregung, sondern auch Franz Wieland, Ökonom in Hierlbach bei Straubing, Landtagsabgeordneter und Mitgründer des liberal und antiklerikal eingestellten „Bayerischen Bauernbundes“. Er hatte bei den Reichstagswahlen im Juni 1898 eine Niederlage erlitten und führte dies auf die Treue der Straubinger Bürger zur katholisch orientierten Zentrumspartei zurück. So forderte er zusammen mit dem Landwirtschaftlichen Bezirksverein Straubing die niederbayerischen Bauern auf, das Volksfest in Straubing zu boykottieren und auch ihren Dienstboten den Besuch zu verbieten – was nicht nur seine eigenen Bediensteten zu „regelrechtem Aufruhr“ und „gerechter Entrüstung“ veranlasste. Im „Straubinger Tagblatt“ häuften sich die Leserbriefe „pro Volksfest“, unter anderem aus dem Bayerischen Wald: „… Unser Herrgott … gab uns heuer endlich wieder reiche Ernte; wir haben uns aber während dieser afrikanischen Hitze plagen genug müssen und es schadet uns gewiß nicht, wenn wir zur Erholung im Straubinger Volksfeste 1 oder 2 Tage vergnügt zubringen, und niemand wird es uns verargen, wenn wir von dem edlen Straubinger Saft um eine Maß mehr trinken, wie gewöhnlich. … Andere Stände gehen zur Erholung in’s Gebirg, und wir Waldler gehen zum Volksfeste nach Straubing.“ Vielleicht waren es diese Widerstände, die die Straubinger zur Organisation eines Festes veranlassten, „das mit Recht den Namen ‚Volksfest‘ beigelegt erhielt“, „ein Fest fürs Volk, für Jung und Alt, ohne Unterschied der Partei und Konfession, gleich für Stadt und Land“. Es sollte ein Ereignis für ganz Niederbayern sein – was sich auch im Namen „Niederbayerisches VolksFest“ kundtat. Das Fest vom 10. bis 14. September wurde ein großer Erfolg. Tausende Besucher, auch aus der Oberpfalz und Oberbayern, strömten nach Straubing. Die Organisatoren übernahmen den landwirtschaftlichen Charakter des Festes: Es gab Geflügel- und Bienenzucht-, Gemüse- und Pflanzenschauen sowie Viehausstellungen. Wie gewohnt wurden Preise und Ehrendiplome für „hervorragende Leistungen“ verteilt, treue Dienstboten geehrt. ♦ Großartiges Volksfest Die „Budenstadt“ lockte mit vielfältigen Attraktionen, z. B. der dampfbetriebenen Berg- und Talbahn von Rudolf Budde und der „Elektrischen Riesen-LuftschiffSchaukel“ mit „großartiger feenhafter“ Beleuchtung von Peter Eppele, mit dem Zauber- und VarietéTheater des Münchners Michael Schichtl und der Friedrich Berg’schen Menagerie mit Eisbären, Elefanten und einem Königstiger, der dem Tierbändiger „einen veritablen Kuß“ verabreichte, oder dem Flohzirkus von Johann Günther mit „300 sprungbereiten kleinen Künstlern“. In den Bierhallen genoss das Publikum den „belebenden Stoff“ der Straubinger Brauereien Geitner, Neumayer, Dietl sowie der Passauer Innstadtbrauerei, stärkte sich mit Bratwürsten und Kücheln - selbstverständlich bei Musik, z.B. von der 40 Mann starken Kapelle des Kgl. Bair. 1. Jägerbataillons. Die Vielfalt des kulinarischen Angebots auf dem Festplatz zeigt auch die „Waldhütte“ des Wirtes Jakob Förg, der für das „vorzügliche“ Weißbier der Weidemann-Brauerei sowie für „Kracherl, Limonaden, Weine und Liqueure, Meth, Punsch, Glühwein, Confekt, Dessert und sonstiges Backwerk“ warb. In etlichen kleineren Ständen wurden Brezen, Käse, „warme Wiener Dampfwürste“, „fränkische Wurstwaren“ und vieles mehr verkauft. Der Festwirt Otto Preißer lud in der Festzeitung die Gäste in seine „Restaurationshallen“ mit ironischer Anspielung auf die Vorgeschichte des Festes ein: „Willkommen! Herbei, ihr Menschkinder alle, Die ihr des Festes euch erfreut! Kehrt ein in diese gastlich‘ Halle, Dem Zweck des Frohsinns ist’s geweiht! Ob liberal, ob Centrumsleute, Sie alle sind mir Gäste wert, Und wohl nicht minder es mich freute, Wenn auch Herr Wieland mich beehrt.“ Wie üblich begleiteten Sonderveranstaltungen das Fest: die seit dem ersten Landwirtschaftsfest 1812 obligatorischen Pferderennen, die der Trabrennverein auf der Gstüttinsel organisierte, die 1819 eingeführten Schützenwettbewerbe beim Schützenhaus, für die die Schützengilde verantwortlich war, der seit 1835 abgehaltene große Festzug über den Stadtplatz oder Turnvorführungen des „Turn-Vereins“ und des „Turnerbundes Jahn“ auf dem Festplatz. Den Schlusspunkt am 14. September setzte, wie seit 1835 Tradition, ein „Brillant-Feuerwerk“. Damit endete ein gelungenes Fest, „von keiner anderen Provinzstadt Bayerns in annähernd ähnlicher Weise arrangiert, geschweige denn übertroffen“. ♦ Volksfestbegeisterung Der Landwirtschaftliche Verein hatte zwar kurz darauf, vom 17. bis 20. September, sein offizielles Kreislandwirtschaftsfest in Passau abgehalten, das aber mit der Straubinger Veranstaltung nicht mithalten konnte – und das letzte derartige Fest in Passau war, da die Stadt aufgrund des finanziellen Defizits eine künftige Ausrichtung ablehnte. Die Kreisfeste des Landwirtschaftlichen Vereins „versandeten“. Es fanden noch einige Vereinsfeste in kleineren Gemeinden, z. B. 1906 in Kelheim, statt, aber das Straubinger Volksfest hatte die Funktion und Bedeutung eines Landwirtschaftsfestes für Niederbayern übernommen. Es nannte sich entsprechend künftig „Niederbayerisches landwirtschaftliches Volksfest“ und fand alle zwei Jahre statt. Die Entscheidung 1898 für ein eigenes Volksfest war mehrfach motiviert: die wirtschaftliche Bedeutung als Einnahmequelle für die Straubinger Geschäftsleute, die Kränkung durch die Absage des Landwirtschaftlichen Vereins, das Selbstverständnis als landwirtschaftliches Zentrum, aber auch das Selbstbewusstsein einer aufstrebenden Stadt. Unter dem weitsichtigen und fortschrittlichen Bürgermeister Franz von Leistner war Straubing auf dem Weg zu einer modernen Stadt mit einer steigenden Einwohnerzahl, einer regen Bautätigkeit und bedeutsamen überregionalen Institutionen. Unter dem Motto „Immer größer, immer glanzvoller, immer gelungener“ entwickelte sich schließlich das Straubinger Fest zum zweitgrößten Volksfest Bayerns. Und vielleicht oder vermutlich ist die Verbundenheit der Straubingerinnen und Straubinger mit „ihrem“ Fest auf das Jahr 1898 und die damalige mutige Entscheidung der Stadtväter zurückzuführen: „Bei dem Namen ‚Volksfest‘ schlägt jedes Straubinger Herz höher …“ Literaturhinweis: Alfons Huber, 1898 – das erste von der Stadt „auf eigene Hand arrangirte“ „Niederbayerische Volksfest“, in: Dorit-Maria Krenn (Hg.), A Trumm vom Paradies. 200 Jahre Gäubodenvolksfest Straubing 1812 bis 2012, Straubing erw. Aufl. 2013, S.125-137. ♦ Werbeanzeige für den Flohzirkus im Straubinger Tagblatt vom 11. September 1898. ♦ „Gruss aus Straubing vom Niederbayerischen Volksfest“, Postkarte gesendet an die Bierbrauerstochter Theres Gässl in Pfarrkirchen am 14. September 1898 (Stadtarchiv Straubing). ♦ Titelseite der Festzeitung zum „Niederbayerischen Volks-Feste“ 1898 (Detail, Gäubodenmuseum Straubing). ♦ Franz von Leistner, Bürgermeister von 1888 bis 1916 (Zeichnung von 1913). ♦ Werbeanzeige für Schichtls Theater, München, in der Festzeitung zum Volksfest 1898 (Gäubodenmuseum Straubing). ♦ Werbeanzeige für die „Schützen-Halle“ in der Festzeitung zum Volksfest 1898 (Gäubodenmuseum Straubing). Gekennzeichneter Download (ID=wEvNpV441n9orUHzjGhuH4Cnf4hFO0H7iHSP_1Wpb1I)

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