STRAUBINGER STADTMAGAZIN

70 Rumtreiber | STRAUBINGER ich punkten. Puterrot kämpfe ich mich zum Lift. Ein Zweiersessel mit garantierter Talfahrt. Und jetzt beginnt die eigentliche Geschichte. Danke, dass Sie so lange durchgehalten haben. Wie gesagt, es geht um Gewicht, Gewichtsverteilung, Platzhirsch oder schlankes Reh. Wir stellen uns also an. Zu zweit. Einfädeln, in die Spur stellen, sie Stöcke in die linke, ich in die rechte Hand. Beide professionellen Schulterblick wie in der Fahrschule. Das Gefährt saust heran. Ich setze mich mit einem Doppelwumms in den Doppelmayr-Lift. Neben mir wird es unruhig. Mein Skihaserl ist plötzlich weg. Tonlos. Einfach abgerutscht. Ohne einen Laut von sich zu geben. Ich wollte sie festhalten, aber sie entglitt mir. Wo ist Skihaserl Andrea geblieben? Sie hatte keinen Platz neben mir, weil ich pascha-like, natürlich ungewollt, die goldene Mitte auf dem Sitz, auf dem wir alle talwärts fahren (Falco) mit meinem zarten Gesäß besetzt hatte. Friedrich Merz hätte gesagt: „Sehen Sie, das ist es, was ich meine!“ Die Dame ist nämlich auch noch Lehrerin. Klischee bestätigt. Also links neben mir wären ungefähr so viele Zentimeter Platz gewesen, wie der Tourismusverband als Schneehöhe im Tal angegeben hat. Selbst die österreichische Kaiserin Sisi hätte da keine Chance auf einen Platz an der Sonne gehabt. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf: „Wurde sie beim Sturz aus dem Lift auf einem Weidezaun gepfählt?“ Verwerfe ich sofort, bei der Schneehöhe. Hätte ich gesehen. Aber mit Skiern auf unbekanntes Terrain gestürzt. „Ein Schien- oder Wadenbeinbruch? Eine Bergung mit dem Heli ist in dem unwegsamen Gelände nur mit Seilwinde möglich. Oder doch nicht, weil ja das Seil der Bergbahn auch noch da ist. Haben österreichische Gefängnisse, genannt Hefen, dieselben Besuchszeiten wie in Deutschland?“ Langsam wird mir schlecht. Vor allem, weil sie so wortlos senkrecht nach unten, und damit plötzlich auch aus meinem Leben verschwunden war. Werde ich sie wiedersehen? Muss ich sie gar identifizieren? Die Fahrt ins Tal wird zur Hölle. Ich möchte so schnell wie möglich unten ankommen, irgendwas tun. Aber das Seil bewegt sich mit der immergleichen stoischen Ruhe talwärts. Plötzlich knackt es über mir. „Ist das schon die Rache? Stürze ich ab und folge ihr?“ Es stellt sich heraus, dass es nur die übliche Fahrt über die Rollen an den Masten war. Ich muss mich ablenken. Welche Nummer hat mein Zweiersessellift, den ich allein bespiele? Vor mir 100 und wieder davor 99. Also 101 kombiniere ich blitzschnell. Endlich unten angekommen, öffne ich das Verdeck meiner Kabine. Schnell verlasse ich die Anlage mit zwei Doppelstockschüben, bremse hart, reiß mir die Skier von den Füßen und blicke ängstlich nach oben. Eine Einzelperson mit gelber Skihose steigt aus. Erleichterung. Sie ist es nicht. Doch dann: Endlich. Nr. 111. Sie winkt mir zu. Deutet an, dass sie unverletzt sei. Auf mich ist sie nicht sauer. Aber auf den Liftboy, der sie einfach ignoriert und ihr auch jegliche Unterstützung verweigert hat. Im Skibus zurück zum Hotel wird sie als Heldin gefeiert: „Sie sind doch die ...“ Mir bleibt nur der Muskelkater. Dazu eine kräftige Portion schlechten Gewissens. Dem Liftboy war’s wurscht. Tja, Frühlingsgefühle hat man, oder nicht. Die Temperaturen sind nicht immer entscheidend. Aber vielleicht eine kleine Diät, die anderen Platz zum Überleben gibt. Wäre sie nur eine Sekunde später gesprungen, hätte sie das Plateau nicht mehr erreicht, sondern wäre senkrecht in die Tiefe gestürzt. Ihr Frühlingsbote Bernd Vogel

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