Bogener Rautenmagazin

18 BOGENER RAUTENMAGAZIN JANUAR BIS MÄRZ 2023 „Wir drehten das Radiogerät auf volle Lautstärke und tanzten“ Einige der Zeitzeugen, die in der Ausstellung der VHG-Schüler zu Wort kommen: Andrea Probst, Erste Bürgermeisterin der Stadt Bogen: Ich war 11 Jahre und kann mich noch erinnern, dass wir zu Hause den Mauerfall über die Tagesschau mitverfolgten, in der es nach der Pressekonferenz mit Günter Schabowski plötzlich hieß „DDR öffnet Grenze“. Im ersten Augenblick konnte ich die Bedeutung dieser Nachricht gar nicht realisieren – erst nach und nach, als wir z.B. in der Familie, in der Schule mit unseren Lehrern oder im Freundeskreis ausgiebig über dieses Thema redeten und diskutierten. In Erinnerung bleiben mir auch besonders die emotionalen Bilder der Menschen, die plötzlich in Freiheit waren. Clemens Kink, Schulleiter am VHG Bogen, beim Mauerfall 25 Jahre alt: „Ich bin mit dem Eisernen Vorhang aufgewachsen. Günter Schabowskis Ab-Sofort zur freien Ausreise aus der DDR war für mich einfach unfassbar, aber auch irgendwie beunruhigend.“ Hans Liebl, VHG-Schülervater, beim Mauerfall 17 Jahre alt: „In den vorherigen Tagen und Wochen wurde es bereits angedeutet durch die Nachrichten, die man bekommen hat, dass das Land offener werden würde. Aber dass die Mauer so schnell fallen würde, war unvorstellbar! Den Gedanken konnte man nicht greifen. Diese Zeit kann man am besten mit dem Wort ‚bewegend‘ beschreiben.“ Karl Loibl, VHG-Schülergroßvater, beim Mauerfall 43 Jahre alt: „Ich war sehr überrascht, dass die Mauer tatsächlich gefallen ist, da jegliche Demonstrationen in der DDR brutal niedergeschlagen wurden. Es war aber auf jeden Fall längst überfällig, weil der Staat die Bürger unterdrückte und die wirtschaftlichen Probleme immer größer wurden.“ Ute Börner-Pietsch, Unesco-Schulkoordinatorin am Innerstädtischen Gymnasium Rostock, Unesco-Landeskoordinatorin von Mecklenburg-Vorpommern, im November 1989 Studentin: „Am Abend fiel auf, dass einige Mitstudenten aus der Seminargruppe fehlten. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass sie in dieser Nacht in Westberlin waren. Eine Kommilitonin kam mit einem riesengroßen tragbaren Radiogerät zurück, das sie geschenkt bekommen hatte. Das drehten wir auf volle Lautstärke auf und tanzten.“ Regine Koch, stellvertretende Schulleiterin am Innerstädtischen Gymnasium Rostock, beim Mauerfall 31 Jahre alt: „Es war für mich ein großes Staunen und eine gewisse Ungläubigkeit, dass die Grenze offen sein soll. Meine Mutter hatte bereits im Sommer prophezeit, dass Deutschland wieder ein Land werden wird. Nach der Grenzöffnung kamen viele Westdeutsche nach Rostock und kauften für wenige Ostmark, die sie noch umtauschen mussten, Kinderkleidung, Lederschuhe und andere Konsumgüter, die für sie sehr billig waren. Auch die Restaurants füllten sich mit ihnen und wir fühlten uns ein wenig ‚ausverkauft‘.“ Andrea Prechtl, Redakteurin beim Straubinger Tagblatt, beim Mauerfall 20 Jahre alt, Studentin: „Damals dachte ich zwar, die DDR würde bestehen bleiben und die Grenze dorthin eine so normale wie etwa die zu Österreich werden, aber dennoch notierte ich am 10. November in mein Tagebuch: ,Der Tag der Deutschen Einheit war gestern.‘ Damals wurde der Tag der Deutschen Einheit ja noch am 17. Juni begangen, in Erinnerung an denVolksaufstand in der DDR, der 1953 mit Hilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen worden war.“ Heidi Kraus, Unesco-Schulkoordinatorin am VHG Bogen, Unesco-Landeskoordinatorin von Bayern, im November 1989 in der sechsten Klasse: „An den Abend des Mauerfalls kann ich mich überhaupt nicht erinnern, wohl aber an die Montagsdemonstrationen. Diese Bilder von den Menschenmassen auf den Straßen haben sich mir eingebrannt. Ich habe gespürt, dass das für die Menschen dort gefährlich war, aber von ihnen eine unglaubliche Kraft ausging.“ Dr. Markus Riemer, Schulleiter am Innerstädtischen Gymnasium Rostock, beim Mauerfall 14 Jahre alt: am 9. November 1989 war ich 14 Jahre alt und saß in der vorpommerschen Provinz im Internat des Musikgymnasiums Demmin. Mangels moderner Kommunikationstechnik drang die Nachricht vom Mauerfall in dieser Nacht gar nicht zu uns. Erst am folgenden Morgen beim Frühstück machte die Nachricht im Speisesaal die Runde – in Berlin soll die Mauer auf sein. Da am Freitag ohnehin die Heimreise in die Familie anstand, fuhren viele von uns gleich am nächsten Morgen über die Grenze, die meisten nach West-Berlin. Spannend war für uns die Frage: Wer würde am folgenden Montag wieder da sein – und wer kommt nicht wieder? Ich selbst fuhr mit meiner Familie am zweiten Wochenende nach der Grenzöffnung nach West-Berlin und erlebte dort den Beweis dafür, dass sich die Welt unumkehrbar geändert hatte. Text und Bilder: Bericht Straubinger Tagblatt vom 03.11.202

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