Espresso Magazin Dezember

33 espresso HALLO SANDRA, DU BIST PUBERTÄTSEXPERTIN UND ELTERNMOTIVATORIN. DAS KLINGT SPANNEND. WIE KAMST DU DAZU? Mit Eltern und Familien arbeite ich schon seit über 20 Jahren. In meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen habe ich oft gespürt, dass Eltern mit den Herausforderungen der Pubertät überfordert waren. Denn dann funktioniert Erziehung nicht mehr. Damit die Eltern in dieser Phase die Verbindung zu ihrem Kind nicht verlieren, habe ich mich auf denWeg gemacht, Eltern dabei zu unterstützen, aus Erziehung wieder Beziehung werden zu lassen und sie zu motivieren, ihre Erziehungsverantwortung wieder mit Freude wahrzunehmen. HAST DU SELBST KINDER IMTEENAGERALTER? Ja, meine Tochter ist mit 23 schon in der „postpubertären Phase“. Mein Sohn ist mit 16 Jahren mittendrin statt nur dabei. DU VERSPRICHST ELTERN IHRE FAMILIEN-MAGIEWIEDERZUFINDEN, BEVOR ZUHAUSE DIE FUNKEN FLIEGEN. WIE SCHAFFST DU DAS IN DEINEMALLTAG? Mit viel Wertschätzung und Gelassenheit. Das musste ich auch erst lernen. Umso gelassener man reagiert, desto entspannter können Gespräche in der Familie stattfinden. Dazu gehört vor allem, dass jeder in der Familie um seine Bedürfnisse weiß, also, was einem gut tut, was man braucht. Gelingt es, dass die Bedürfnisse aller Familienmitglieder ernstgenommen und erfüllt werden können, dann ist das fast ein bisschen wie Magie. Da gibt es den schönen Spruch: „Wenn Du deine Bedürfnisse kennst, dann küsst Dich das Leben“. Das finde ich eine ganz wunderbare Vorstellung. WASWÜRDEST DU DEINER TOCHTER SAGEN, WENN SIE MIT 17 JAHRENMIT BLAUEN HAAREN UND ZUNGENPIERCING NACHHAUSE KOMMENWÜRDE? Jugendliche wollen und müssen sich abgrenzen von den Eltern. Das geht hervorragend über Äußerlichkeiten, wie gefärbte Haare oder einen besonderen Klamottenstyle. Wenn man weiß, dass dieses Verhalten von Teenies zum Entwicklungsprozess dazugehört und oft nur eine Phase ist, kann man sich viel Aufregung sparen. Ich würde zu meiner Tochter sagen: „Coole Haarfarbe“. Und zum Zungenpiercing muss ich zugeben, dass ich selbst eins hatte. Da wäre ich nicht schockiert. Meine Mama fand's blöd. Aber das war mir egal. Eigene Erfahrungen helfen uns dabei, unsere Kinder besser zu verstehen. Allerdings sollten wir sie nicht mit uns vergleichen. Das funktioniert nicht. HABEN ELTERN IN PUNKTO KLEIDUNGSSTIL UND HAARE ÜBERHAUPT ETWAS ZU MELDEN? Kleidung und Haare bieten die Chance, sich auszuprobieren, wer man sein will, wie man gesehen werden will und wie man auf andere wirkt. Das brauchen Jugendliche, um sich selbst besser wahrzunehmen. In punkto Kleidungsstil und Haare kann es auf jeden Fall Absprachen geben. Die sollten allerdings nicht in Form von Verboten erfolgen, da dies eher kontraproduktiv ist. Besser wäre es, ins Gespräch zu kommen, um zu verstehen, warum der Teenie jetzt blaue Haare haben will. Jedes Verhalten hat auch einen guten Grund. Diesen gilt es herauszufinden. ALS PUBERTÄTSEXPERTINWEISST DU SICHERMEHR ÜBER VERHALTENSMUSTER UND VORGÄNGE, DIE SICH BEI JUGENDLICHEN SO ABSPIELEN. GIBT ES DA ETWAS, DAS ELTERN UNBEDINGTWISSEN SOLLTEN? Auf jeden Fall ist es wichtig zu wissen, dass sich das Gehirn bei Teenies während der Pubertät im Umbau befindet, quasi eine Art Baustelle. Dies führt zu den bekannten Stimmungsschwankungen oder oftmals zu geringer Motivation und riskantem Verhalten. Hier sollten Eltern nachsichtig sein und ihren Kindern Fehler zugestehen. Denn auch Scheitern will gelernt sein. CHILLEN. CHATTEN. ZEIT TOTSCHLAGENWAR DAS MOTTO EINER DEINER TEENIE TALKS AUF INSTAGRAM. WIE SCHAFFTMAN ES, DIE JUNGEN HERANWACHSENDEN ZUMEHR ZUMOTIVIEREN? Motivation ist nicht gerade die Kernkompetenz von Jugendlichen. Die Teenies zu motivieren gelingt fast nur, wenn sie es aus eigenem Antrieb tun oder wollen. Hier helfen vor allem Rituale und das Definieren von Pflichten. Jeder, der mit imHaushalt lebt, sollte auch Aufgaben übernehmen. Wenn Kinder eingebunden werden, zeigt man ihnen, dass man sie ernst nimmt, aber auch, dass zu Rechten auch Pflichten gehören. Am besten stellt man die Familienregeln gemeinsam auf, um nicht jedes Mal in die Diskussion gehen zu müssen. WAS KÖNNEN ELTERN IN DIESEN ETWAS SCHWIERIGEN JAHREN TUN, UMDIE BEZIEHUNG AUFRECHT ZU ERHALTEN? Auch hier sind Rituale ganz wichtig für die Familie. Sie fördern den Zusammenhalt und geben dem Leben Struktur. Beim gemeinsamen Familienessen bietet sich die Gelegenheit ins Gespräch zu kommen und zu erfahren, was das eigene Kind beschäftigt. Eine gemeinsame Mahlzeit am Tag mit der Familie bietet unheimlich viel Gelegenheit in Kontakt zu treten und so die Beziehung zu CHILLEN, CHATTEN ZEITTOTSCHLAGEN Sandra Lindermeier weiß als Pubertätsexpertin, wie Jugendliche ticken ,

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