Espresso Magazin Dezember

31 espresso Nach demTod von Mahsa Amini schaut dieWeltbevölkerung wieder verstärkt auf das Land am Persischen Golf. Täglich neue Berichte über Proteste, Festnahmen, Folterungen, verhängte Haft- und erstmals auch Todesstrafen. Als die Proteste im September begannen, befand sich Mojgan H. gerade in Teheran. Zu dieser Zeit, so schildert sie es, beschränkten sich die Proteste noch auf die Nacht. „Die Nacht ist des Freien Freund“, mag einem dabei vielleicht einfallen. Ein Satz, den Sophie Scholl einmal sagte, als es um die Beteiligung amWiderstand ging. Doch die Proteste im Iran beschränken sich nicht mehr auf die Dunkelheit, längst durchdringen sie den Lebensalltag. „AmTag war es ruhig, auch wenn die Ungewissheit zu spüren war. Als es dunkel wurde, postierten sich derWächterrat und die Milizen mit Motorrädern und voller Montur an den Kreuzungen, umAngst in der Bevölkerung zu schüren. Ich beschloss, nachts nicht ins Freie zu gehen, um nichts zu riskieren“, sagt sie. Rufe wie „Tod dem Diktator“ schallten durch die Nacht. „Iranische Frauen sind sehr starke Persönlichkeiten“, erklärt H. imGespräch mit espresso. Etwas, das auch auf sie selbst zutrifft. „Mein Vater hat mich als starke Frau erzogen, ich durfte eigene Entscheidungen treffen und meine Meinung sagen.“ Dass in der 49-Jährigen ein kritischer – und auch ein widerständiger – Geist steckt, lässt sich vermutlich am besten mit diesem Beispiel zeigen. Rückblick in ihre Zeit als Gymnasiastin im Iran. Die damalige Mode: engeHosen. Die damaligen Kleidervorschriften für Frauen im Iran: langes Kopftuch, langer Mantel, breiteHosen. Am Schuleingang wurde dies kontrolliert. Eigentlich keine Chance für enge Hosenbeine. Doch mit einem geschickt platzierten Faden schaffte die junge Mojgan es, diese enger zu schnüren. „Die Kontrollen sah man bereits von weitem. Ich konnte den Faden einfach herausziehen und die Hosenbeine wurden wieder breiter.“ Sie lacht bei dieser Geschichte. Von der aktuellen Generation ist sie aber auch etwas enttäuscht. Oberflächlich sei diese, was sie u.a. an den vielen Schönheits-OPs festmacht, die im Iran imTrend liegen – selbst bei Männern. Das aber sei vermutlich auch ein Symptom, wenn man in Angst und Zwang leben müsse. „Ich bin voll auf der Seite der Bevölkerung, ich bin voll auf der Seite der Frauen“, sagt sie und will in ihrer Kritik nicht missverstanden werden, denn eine Unterstützerin des iranischen Regimes ist sie keinesfalls. Doch sagt sie auch, dass die Forderung der iranischen Frauen rund um das Kopftuch ihr zu kurz greifen würden. Sie sollten ihrer Meinung nach stärker für Demokratie und Meinungsfreiheit einstehen. Misswirtschaft und Korruption seien die eigentlichen Probleme des Landes. Dagegen müsse man die Stimme erheben. Jetzt kann man freilich entgegnen, dass der Kampf gegen das Kopftuch (auch) ein symbolischer ist und sehr wohl eine tiefere Bedeutung hat – wie eben den allgemeinen Kampf für mehr Frauenrechte, mehr Selbstbestimmung und gegen das Unterdrückerregime. Doch das würden vor allem die religiösen Frauen im Iran nicht verstehen, antwortet H. darauf. Diese befürchteten nun wieder den Umschwung ins andere Extrem, wie es schon einmal unter Reza Schah Pahlavi gewesen sei. Soll heißen: Die religiösen Frauen fürchten nun, das Kopftuch gar nicht mehr tragen zu dürfen und stellen sich auf die Seite des Regimes, erklärt sie. Mit diesem Zwiespalt setzen sich übrigens auch Künstlerinnen auseinander, wie in der Collage (linke Seite) rechts unten zu sehen ist. Im Iran herrscht zweifellos ein Kampf um die Freiheit, die jungen Frauen verdienen dafür den höchsten Respekt. Dass junge Menschen ihr Leben auf der Straße riskieren, sieht H. aber sehr kritisch - und denkt dabei v.a. an die Eltern, die in Todesangst darauf warten müssen, ob ihre Töchter wieder nach Hause kommen. Ein Generalstreik könne da schon eher etwas bewegen, meint sie. Bei einem ist sie sich jedoch sehr sicher: Sanktionen gegen das Land sind nicht zielführend. Das müsse nur die Bevölkerung ausbaden. Gleichzeitig lebten die Kinder politischer Führungskräfte imAusland in Saus und Braus – vor allem im Westen. Etwas, wofür ihr jegliches Verständnis fehlt. Das dürfe derWesten nicht zulassen. Das Ende der Proteste ist noch nicht abzusehen. Auch nicht, ob das Regime auf den anhaltendenWiderstand mit noch mehr Gewalt antworten wird. „Ich habe große Angst, was mit meinem Land und meinen Landsleuten geschieht“, sagt Mojgan H. Mojgan H. weiß, wie es ist, in einem zerrütteten Land aufzuwachsen. Ihre Wurzeln liegen im Iran, wenige Jahre vor Beginn der Islamischen Revolution wurde sie in Teheran geboren. Ihre Eltern waren Anhänger des Schah, ihr Vater und ihr älterer Bruder mussten das Land verlassen. Sie blieb mit ihrer Mutter für drei weitere Jahre zurück und musste die Repressalien des Wächterrats erdulden. Anfang der 90er kam H. mittels Studentenvisum nach Deutschland. Lange musste sie kämpfen, um hier bleiben zu dürfen. Mojgan H. ist studierte Diplomvolkswirtin. Im Iran wurde ihr das Studium trotz bestandener Aufnahmeprüfung verwehrt. Nach dem Studium in Deutschland hätte sie das Land verlassen müssen - trotz der Gefahren, die im Iran wegen der dort praktizierten Sippenhaft auf sie gelauert hätten. Auch auf die Stadt Ingolstadt ist sie daher nicht gut zu sprechen, die ihr dieVerlängerung des Aufenthaltstitels verweigert hätte. 7 Jahre musste sie prozessieren, bis sie in Deutschland bleiben durfte. In ihrem studierten Berufsfeld konnte sie nach dieser Zeit nicht mehr Fuß fassen. "Wenn man nicht hier geboren wurde, wird man hier nie richtig angekommen sein", sagt sie auch nach rund drei Jahrzehnten in Deutschland noch. Seit einigen Jahren ist sie in Ingolstadt in der Migrationsarbeit tätig.

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