Niederbayern neu gedacht 01.11.2022

10 Die Schattenseiten der Gebietsreform Interview: Franziska Hofmann 32.000 verlorene politische Mandate, stagnierende Bevölkerungszahlen und Betriebe, die abwandern: Die negativen Auswirkungen der Gebietsreform und warum diese bisher kaum thematisiert wurden Die Gebietsreform hat den Freistaat vor 50 Jahren einmal auf den Kopf gestellt und völlig neu zusammengewürfelt. Dass die teilweise gravierenden Grenzänderungen und Eingemeindungsprozesse nicht nur Auswirkungen auf die Verwaltungsstrukturen vor Ort hatten, sondern besonders auch die Bürger und Lokalpolitiker getroffen haben, liegt nahe. Die Folgen tatsächlich in ihrer Gänze analysiert und aufgearbeitet hat bisher aber kaum jemand. Prof. Dr. Ferdinand Kramer ist einer der wenigen Historiker, die sich bislang wissenschaftlich mit der Gebietsreform und ihren Auswirkungen auseinander gesetzt haben. Im Interview spricht er über erschütterte Identitäten, persönliche Verletzungen und Schattenseiten der Reform, über die auch heute – 50 Jahre später – nur ungern bis kaum gesprochen wird. Herr Prof. Dr. Kramer, woher rührt Ihr Interesse für dieses Stück - auf den ersten Blick - doch eher trockene Stück bayerischer Geschichte? Ferdinand Kramer: Die Gebietsreform gehört zur jüngsten Geschichte Bayerns und bedeutete über eine Verwaltungsreform hinaus eine weitreichende Veränderung für den Freistaat. Sie berührte nicht nur vermeintlich große Politik, sondern auch den Nahbereich vieler Menschen. Unter anderem deswegen, weil durch sie mehr als 30 000 kommunale Mandate abgegangen sind. Viele Menschen konnten nicht mehr mitverantworten und -gestalten. Damit ging in der Gesellschaft auch viel Know-How über öffentlich-rechtliche Zusammenhänge verloren, das die Menschen durch die Mitarbeit in kommunalen Gremien gewonnen haben. Tiefgreifende Auswirkungen, die bisher von staatlicher Seite kaum analysiert beziehungsweise evaluiert wurden. Woran liegt das? Kramer: Nachdem die Gebietsreform abgeschlossen war, wollten die Verantwortlichen die Sache erst einmal befrieden. Weil das natürlich die Leute, gerade auf lokaler Ebene, sehr stark emotionalisiert hat. Es gibt ja bis heute in vielen Gemeinden immer wieder Spannungen und Debatten, ob alle Dörfer einer Gemeinde oder alle Teile eines Landkreises angemessen berücksichtigt werden. Vor allem jetzt, im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums, fällt eine sehr stark harmonisierte Erinnerung auf. Über Probleme, die während und in der Folge der Gebietsreform entstanden sind, wird ungern geredet. Welche Probleme wären das? Kramer: Eine Frage, die man sich stellen kann, ist, ob der Zentralitätsverlust mancher Landstädte, die vormals Sitz eines Landratsamtes waren, nicht auch zu heutigen Problemen dieser Städte beigetragen hat. In Orten, die die eigene Gemeinde verloren haben, ist oft viel Infrastruktur abgegangen. Und wenn man sieht, dass heute vier- und fünffach so viel Personal bei den Landratsämtern beschäftigt ist als vor der Gebietsreform, kann man sich schon fragen, ob die Halbierung der Landkreise die angestrebten Ziele erreicht hat? Oder ob es nicht doch möglich gewesen wäre, die Landratsämter in den Landstädten zu er11 halten? So ging auch ein Stück Unmittelbarkeit im Kontakt mit den Bürgern verloren. Gerade der Identitätsverlust traf viele Bürger damals ja sehr hart. Man denke etwa an Gemeinden, für die sich nicht nur die Landkreiszugehörigkeit geändert hat, sondern die plötzlich zu einem anderen Regierungsbezirk gehörten. Kramer: Im Kern war es so, dass man von staatlicher Seite sehr stark in Kategorien der Verwaltung gedacht hat. Für die Menschen selbst ging es aber auch um andere Dinge. Um Teilhabe, um Fragen der Zugehörigkeit und Mitbestimmungsmöglichkeit. Für viele Orte ging so etwas wie die innere Mitte verloren. Das merkt man etwa in der Anerkennungskultur. Wer bekam fortan Auszeichnungen für öffentliches Engagement, wer wurde Ehrenbürger? Immer die Leute aus dem Hauptort oder auch mal einer aus einem Gemeinde- oder Ortsteil? Wen traf die Gebietsreform besonders? Kramer: Insbesondere kleinere Orte und ihre Bürgermeister und Gemeinderäte. Dort hat man dann oft kaum noch Bauland oder Gewerbeflächen ausgewiesen; mancherorts sind Handwerksbetriebe in den neuen Hauptort abgewandert. Mit der Folge, dass die Bevölkerungszahl stagnierte und nach und nach Infrastruktur verloren ging. Wenn in einem Ort eine politische Mitte fehlt, die auch selbst Beschlüsse fassen und Zuschüsse bei staatlichen Stellen beantragen kann - dann wird es schwierig. Viele Dörfer hatten zuvor einen Gemeinderat mit sechs, acht Leuten. Nach der Gebietsreform war der gleiche Ort nur noch mit einem oder zwei Vertretern im großen Gemeinderat vertreten. Da sind natürlich Mitwirkung und Einfluss sehr begrenzt. Spinnt man diesen Gedanken weiter, könnte man denken, dass das vielleicht auch zu einer gewissen Politikverdrossenheit geführt haben könnte. Kramer: Zum Teil haben sich die Leute andere Mitbestimmungsmöglichkeiten gesucht. Die Vereine oder Pfarreien haben bisweilen eine solche Funktion übernommen. Unmittelbar hat der Wegfall zahlreicher kommunaler Mandate zunächst die amtierenden Landräte und ehrenamtlichen Bürgermeister betroffen. Für viele Mandatsträger war das sehr bitter: Solange man in den ersten Nachkriegsjahrzehnten wenig Geld hatte, ließ man sie alleine arbeiten, mit großem Einsatz Wasserversorgung, Schulen, geteerte Straßen errichten. Und als in den 70er Jahren endlich etwas finanzieller Spielraum da war, hat man ihnen die Ämter genommen. Das hatte auch persönliche Verletzungen zur Folge. Dafür, wie groß Bedenken und Kritik waren, gab es aus heutiger Sicht doch relativ wenig Widerstand? Kramer: Im hauptsächlich betroffenen ländlichen Raum gab es noch kaum eine Protestkultur, die sich an eine breitere Öffentlichkeit wandte. Die Widerstände blieben meist im Lokalen. Außerdem gab es einige Beruhigungsmaßnahmen, Versprechungen, mit denen man Orten, die ihre Gemeinde aufgaben, diverse Investitionen in Aussicht stellte. Vielfach hat man die kleinen Gemeinden aber auch stark unter Druck gesetzt. Nach dem Motto: „Wenn ihr eure Selbstständigkeit nicht aufgebt, gehen finanzielle Zuschüsse verloren.“ Was überwiegt schlussendlich? Die Schattenseiten oder die Erfolge der Gebietsreform? Und - mit 50 Jahren Abstand betrachtet - was hätte man vielleicht anders machen können? Kramer: Eine Verbesserung der Verwaltung war notwendig. Auf der anderen Seite gab es die genannten Einbußen an politischer Partizipation, an demokratischer Tiefe und an Wissen um öffentlich-rechtliche Zusammenhänge im Land. Man hätte diese Aspekte, die den Bürger direkt betreffen, wohl stärker berücksichtigen sollen. Mit mehr Verwaltungsgemeinschaften, die räumlich angemessen sind, hätte man die angestrebte Verwaltungseffizienz wohl auch erreichen können. Wie man heute sieht, sind auch die Gemeinden, die neu gebildet wurden, oft nicht selbstständig handlungsfähig. Sie sind finanziell meist abhängig von staatlichen Zuschüssen, angewiesen auf Zweckverbände für Wasser, Abwasser, Schulen etc., neuerdings vermehrt selbst beim Standesamt. Prof. Dr. Ferdinand Kramer ist Inhaber des „Lehrstuhls für Bayerische Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Neuzeit“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er ist unter anderem Herausgeber der Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Vorsitzender der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und veröffentlichte unter anderem in der Zeitschrift des Verbands bayerischer Geschichtsvereine im Jahr 2016 einen Aufsatz zum Thema „Die Gebietsreform und ihre Folgen für die politische Kultur und den ländlichen Raum in Bayern“. ▪ Ärztinnen und Ärzte ▪ Pflegekräfte ▪ Medizinische Fachangestellte ▪ Medizinische Fachberufe: Hebammen, Medizinisch-technische Radiologieassistenten und Laboratoriumsassistenten, Notfallsanitäter, Anästhesietechnische und Operationstechnische Assistenten, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Hygienefachkräfte, ... In den LAKUMED Kliniken werden jährlich durchschnittlich mehr als 85000 Patienten ambulant und stationär versorgt. Ziel ist es, gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten eine wohnortnahe, flächendeckende medizinische Versorgung auf höhstem Niveau sicherzustellen. Dafür sind an den drei Standorten Landshut-Achdorf, Vilsbiburg und Rottenburg insgesamt mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigt, wodurch die LAKUMED Kliniken gemeinsam mit dem MVZ LAKUMED und der Servicegesellschaft LAKUMED als der größte medizinische Dienstleister in der Region gilt. ▪ Verwaltung: Kaufleute, Buchhalter, Sachbearbeiter, Fachinformatiker, ... ▪ Technik: Elektroniker, Anlagenmechaniker, Medizintechniker, Landschaftsgärtner, ... ▪ Wirtschafts- und Versorgungsdienst: Köche, Servicekräfte, Küchenhilfen, Reinigungskräfte, ... Folgende Berufsgruppen (w/m/d) sind bei den LAKUMED Kliniken beschäftigt: Weitere Informationen sowie unsere aktuellen Stellenangebote finden Sie unter www.LAKUMED.de. ▪ Ausbildung: Pflegefachkräfte, Medizinische Fachangestellte, Operationstechnische und Anästhesietechnische Assistenten, Staatlich geprüfte Pflegefachhelfer, Kaufleute für Büromanagement, Fachinformatiker, Köche

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