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4 ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 29./30. 10. 2022 WWW.ABENDZEITUNG.DE MÜNCHEN Eine Siedlung auf dem Holzweg Von John Schneider Es ist laut rund um den Maria-Nindl-Platz. Sehr laut. Der Lärm kommt von Baumaschinen, die an diesem goldenen Oktobertag im Einsatz sind. Die 566 Wohnungen (im ganzen Prinz-EugenPark sind es 1500) sind zwar fertig und bereits bezogen. Es sind aber noch Sportstätten zu errichten und Gartenbauarbeiten zu erledigen in Deutschlands größter Ökologischer Mustersiedlung. Die Siedlung ist aber schon jetzt ein Viertel mit Leuchtturmcharakter. Etwa 13 000 Tonnen Kohlendioxid werden in den Häusern hier langfristig gespeichert. Gegenüber der mineralischen Bauweise können durch die Holzbauweise je nach Holzanteil etwa 30 bis 60 Prozent der klimaschädlichen Emissionen substituiert werden. Sagt die Stadt München. Beim Rundgang durch die Siedlung fällt auf: Nicht alle Häuser sind von außen als Holzhybridbauten zu erkennen. Manche wurden weiß verputzt. Das soll vor allzu schneller Verwitterung schützen. Simone Paffrath (44) ist mit ihrem Mann Tom Schiebler (41) und drei Kindern (3, 8 und 11 Jahre alt) vor zwei Jahren aus Schwabing nach Oberföhring in eine der Wohnungen auf dem ehemaligen Gelände einer Kaserne eingezogen. In einen Holzhybridbau am östlichen Ende der Mustersiedlung. Simone Paffrath schwärmt von dem „sehr angenehmen Wohnklima“. Das Holz, die viele Sonne und die Fußbodenheizung sorgen für Atmosphäre. Ihr Mann pflichtet ihr lächelnd bei, hat „an der Holzhybridbauweise nichts auszusetzen“. Dasselbe gilt für Claus Fincke (65), der sich in der Siedlung bestens auskennt und im selben Baufeld eine Wohnung bezogen hat. „Ich fühle mich sehr wohl. Die Wohnung ist sehr modern, sehr praktisch geschnitten.“ Dass das Holz knackt, macht ihm nichts aus. In Gegenteil: Das Holz arbeite halt und mache Geräusche. „Ich empfinde eine gemütliche Atmosphäre und Natürlichkeit in den eigenen vier Wänden. Ein Holzbau schafft ein naturnahes und angenehmes Innenraumklima mit optimaler Luftfeuchtigkeit.“ Und das Leben in einem Holzhybridbau hat einen weiteren Vorteil: „Die guten Dämmeigenschaften machen sich sowohl im Winter, als auch im Sommer bemerkbar.“ Dass Finckes Wohnung relativ klein ausgefallen ist, hat etwa mit dem Ziel zu tun, möglichst keinen Wohnraum zu verschenken. Die größeren Wohnungen der Siedlung sind Familien vorbehalten. Auf diese Weise ist auch Paffraths Familie zu ihrer Wohnung in der Mustersiedlung gekommen. Weil sie zu fünft waren, bekamen sie den Zuschlag für ihr 105-Quadratmeter-Domizil. Warum aber ist Holz-Architektur nachhaltiger als andere Baustoffe? Claus Fincke weiß die Antwort: „Holz ersetzt CO2-intensive Baustoffe. In Holz ist das Treibhausgas CO2 gespeichert. Wenn es nicht verbrannt, sondern verbaut wird, dann bleibt es gebunden und kann nicht zur Erderwärmung beitragen.“ Und Holz hat laut Fincke weitere nachhaltige Vorteile: Tragende Wände und Fassaden können präzise und wetterunabhängig im Werk vorgefertigt werden, die Bauzeit ist mit vorgefertigten Holzelementen in der Regel deutlich geringer als bei einem vergleichbaren Massivhaus. „Das spart Kosten und reduziert den Baustellenverkehr“, sagt Fincke. Holzbauförderung gab es zudem nur, wenn die Rohstoffe nachweislich in Deutschland oder maximal 400 Kilometer vom Standort der Ökologischen Mustersiedlung geerntet wurden. Warum dann aber nicht gleich reine Holzbauten hinstellen? Das würde doch dementsprechend mehr Nachhaltigkeit zur Folge haben. Auch darauf weiß Fincke eine Antwort: „Den Bau von reinen Holzhäusern hat die Lokalbaukommission München und die Feuerwehr München zum Zeitpunkt der Planung nicht zugelassen. Eine reine Holzbauweise beim mehrgeschossigen Wohnungsbau ist ohnehin die Ausnahme.“ Und darüber ist er nicht einmal unglücklich. Wenn alle vier Wände aus Holz wären, würde er sich ja wie in der Sauna fühlen, erklärt der Vorruheständler. So wie er ist auch Simone Paffrath viel ehrenamtlich unterwegs. Die Schauspielerin, die durch die Siedlung führt, engagiert sich im Arbeitskreis Ökologie. Ihre besondere Leidenschaft gehört den Wildbienen und damit auch den Gängen in der Erde in denen die Insekten den Winter überstehen wollen. Entlang der Jörg-Hube-Straße klafft derzeit eine große Lücke an der Kante zum Gehweg. Der Bienen wegen. Hier soll möglichst schonend weitere Erde aufgetragen werden, erklärt Paffrath. Ohne dass die Bienengänge zerstört werden. Der Schutz der Bienen liegt ihr besonders am Herzen. Nur ein Beispiel für den ökologischen Ansatz, der in der Siedlung verfolgt wird. Weniger Auto, mehr Natur könnte ein Motto für die Siedlung heißen. Radeln und Car-Sharing sollen dabei helfen, diesen Anspruch mit Leben zu erfüllen. Nicht alles funktioniert wie gewünscht. Claus Fincke stört, dass der Weg zur Tram an der Cosimastraße für manche Bewohner arg lang ist. Für Linienbusse sind die Straßen im Viertel aber zu schmal. Auch dass das Kulturbürgerhaus auf dem Maria-NindlPlatz nicht so recht in die Gänge kommt, ärgert ihn. Sein Nachbar Tom Schiebler kritisiert zudem, dass es zu wenig Infrastruktur gibt. Die kleinen Läden wie er sie aus Schwabing kennt, fehlen in der Mustersiedlung. Das findet auch Claus Fincke: „Eine bessere Durchmischung des Quartiers, auch mit Kleingewerbe, hätte Vorteile für die Bewohner gehabt.“ Auch bei Leuchttürmen kommen also Planungsfehler vor. Aber wer durch die Siedlung läuft und mit den Bewohnern spricht, spürt den Enthusiasmus und das Gefühl, dass man auf dem richtigen Weg zu einer nachhaltigeren Wohn- und Lebensweise ist. Und wenn die Baumaschinen dann mal abgezogen sind, dürfte es auch wieder deutlich ruhiger werden in Münchens Vorzeige-Siedlung im Prinz-Eugen-Park. Und das ist hier durchaus positiv gemeint. Die AZ lässt sich von Bewohnerin Simone Paffrath durch die Ökologische Mustersiedlung im Prinz-Eugen-Park führen En vogue: Urban Gardening auf dem Dach. Derzeit ungenutzt: die Markthalle Jörg-Hube-Straße. Fühlen sich wohl im Holzbau: Simone Paffrath und ihre Katze. Ausblick von einer Dachterrasse der Ökologischen Mustersiedlung. Fotos: Bernd Wackerbauer Wildbienen liegen Simone Paffrath besonders am Herzen Tisch statt Tonne: Beim Essen das Klima retten Auch Du kannst das Klima retten, indem du aufisst, was eh schon da ist“ – das ist das Motto der Community Kitchen in Neuperlach. Das Unternehmen ist eine von mehreren Initiativen in der Stadt, die Lebensmittel retten – und etwas daraus machen. Im Lokal der Community Kitchen wird täglich außer Samstag ein warmer Mittagstisch, Kaffee und Kuchen angeboten. Außerdem wird Selbstgemachtes wie zum Beispiel Ratatouille im Glas zum Kauf angeboten und auch ein Catering-Angebot etwa für Unternehmen gibt es. Die Lebensmittel dafür sammelt das Team bei Erzeugern, Händlern oder weiterverarbeitenden Betrieben ein. Das sind schon mal 40 Tonnen pro Woche. Alles Produkte, die sonst weggeworfen würden, obwohl sie verzehrfähig sind. Alleine in München werfen die Privathaushalte täglich 165 Tonnen verzehrfähiges Essen in den Müll. Die Kitchen-Gründerinnen Günes Seyfarth und Judith Stiegelmayr sind gerade erst mit dem „Zu gut für die Tonne“-Bundespreis 2022 des Bundesministeriums für Ernährung ausgezeichnet worden (community-kitchen.com). Ganze Container voll mit essbarerem Obst und Gemüse? Dieser Anblick auf dem Münchner Großmarkt war der Mitte 2020 der Anstoß für die Gründung des Vereins Grüne Tomaten Food Rescue. Der Verein kauft Ware mit kleinen Fehlern oder beschädigten Verpackungen vom Großhandel oder Erzeuger, nicht aus Supermärkten. Das Ganze funktioniert vor allem über sein Mitglieder-Modell, aktuell sind es über 300, und finanziert sich über den Verkauf seiner „Rescue-Boxen“, auf die das gerettete Obst und Gemüse verteilt wird (Mitglieder 12 Euro, Nicht-Mitglieder 15 Euro). Je nach Ort oder Stadtteil wird an einem festen Tag der Woche ausgeliefert – inMünchen, aber auch bis hinaus an den Tegernsee. Im Laden im Werksviertel (Atelierstraße 4, donnerstags 10 bis 17 Uhr) kann man auch gerettete Lebensmittel kaufen. Samstags von 12 bis 15 Uhr wird dort außerdem, was übrig ist, kostenlos an Bedürftige verteilt (gruenetomaten-foodrescue.de). Myriam Siegert Lebensmittel verschwenden? Nicht mit diesen beiden Initiativen aus München Preisgekrönt: Die Community-Kitchen-Gründerinnen mit Cem Özdemir. Nachhaltigwohnen und besser essen: Hier wird gezeigt, wie das funktionieren kann

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