Abendzeitung - Spezial

34 ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 29./30. 10. 2022 WWW.ABENDZEITUNG.DE KULTUR Nachhaltiges Mehrwegsystem Vytal betreibt die größte digitale und pfandfreie Mehrwegplattform Europas, die nach dem Bibliotheks-Prinzip funktioniert: Jeder Behälter ist mit einem individuellen QR-Code und Namen versehen. Gastronomen leihen ihn durch das Scannen mit der Vytal Partner App an ihre Gäste aus – pro Nutzung zahlen sie dafür weniger als für ihre Einwegverpackungen. Für Konsumenten ist die Ausleihe per Vytal App bei Rückgabe innerhalb von 14 Tagen kostenlos. Die Rückgabe kann bei allen teilnehmenden Partnern, in Rückgabeboxen bei Arbeitgebern oder per Abholung zum Beispiel bei einer Lieferung von Gorillas erfolgen. Effizienter als das Flaschenpfandsystem Mit einer Rückgabequote von über 99 Prozent und einer Rückgabezeit von weniger als vier Tagen ist Vytal effizienter als das deutsche Flaschenpfandsystem und dabei für die Kunden komplett kostenlos. Zusätzlich sehen alle Kunden und Gastronomen in der App live, wie viel Einwegmüll sie bereits eingespart haben. Weitere Informationen: www.vytal.org Ob Kaffee, Bowls, Pizza, Sushi oder Burger: Vytal hat immer die passenden Mehrwegbehälter Mit Vytal, dem pfandfreien Mehrwegsystem, wird jede Bowl zum umweltfreundlichen Geschmacksträger. Fotos: Vytal Ob groß, klein, rund oder eckig – Vytal hat Behälter für alle Speisen und Getränke. A N Z E I G E Im Club der Spinnerinnen Wackeln Sie mit den Ohren, lesen Sie Kaffeesatz, züchten Sie daheim Schlangen und sind Sie obendrein noch weiblich, dann hätten Sie gute Chancen, in den Club der Spinnerinnen aufgenommen zu werden. Diese Runde verschrobener junger Frauen steht im Mittelpunkt von „Tea Time“ , dem 17. Roman von Deutschlands renommierter Krimi-Lady Ingrid Noll. Auchmit 87 Jahren ist sie ungebrochen produktiv. BestsellerAutorin Noll, deren Werk in 28 Sprachen übersetzt ist, webt in ihr Netz skurriler Charaktere vor allem Frauen, die alleinstehend sind oder mit ihren Partnern nichts mehr zu tun haben wollen. Ihre Geschichte wird aus Sicht der Apothekenhelferin Nina erzählt, die wegen eines Kindheitstraumas nur schlafen kann, wenn sie in ihrer Decke wie in einem Kokon fest eingewickelt ist. Ihr ungewöhnliches Hobby: mit „Arm-Kräutlein-Fotos“ Pflanzen, die gemeinhin als Unkräuter gelten, „ihre Würde wiedergeben“. Nicht weniger spleenig ist ihre Freundin, die Schulsekretärin Franzi, der unordentliche Teppichfransen ein Graus sind, dem Sie mit Kämmen zu Leibe rücken muss. Über Franzi, die übrigens ihre Marotte auf ihren Vornamen schiebt, stoßen zwei Lehrerinnen zum „Club der Spinnerinnen“. Lehrerin und Voyeurin Corinna und deren Kollegin, die gelenkige Schlangenfrau und Ethiklehrerin Eva, deren Moral sehr locker ist. Die bei der Stadt angestellte Heide, im Nebenjob Feierrednerin, und deren Freundin, die Supermarktkassiererin und Wolkendeuterin Jelena, komplimentieren die schrullige Truppe. Ein harmloser Frauenstammtisch sollte man denken; doch Noll wäre nicht Meisterin des subtilen Verbrechens, wenn sich nicht langsam herausstellen würde, dass die Frauen erhebliche kriminelle Energie entwickeln und vor Gesetzesverstößen nicht zurückschrecken. Auf das Konto der Spinnerinnen geht dann auch der ein oder andere Todesfall. Nolls Interesse an Romangestalten mit Ticks ist nicht neu: „Schon immer interessierten mich Personen, die ein wenig anders ticken, auch in meinen früheren Romanen bevorzugte ich Protagonisten, die nicht ganz in die Norm passen“, sagt sie im Interview und fügt hinzu: „Spleens sind Teil unserer Persönlichkeit, manchmal liebenswert, manchmal kurios.“ Sie selbst sei vor Macken nicht gefeit. „Zum Beispiel ekle ich mich vor Milch, obwohl ich Käse und Milchprodukte sehr gern esse. Aber man stellt mir beim Kaffeetrinken immer und überall das Milchkännchen direkt vor die Nase, das ich zur Belustigung meiner Mitmenschen mit großer Entrüstung und einem Aufschrei weit von mir schiebe.“ Das langsame Abgleiten der Gruppe in Gesetzesübertretungen startet mit dem Eindringen in ein von Corinna ausgespähtes Haus. Nina kann dort einer kleinen Elfenbeinfigur nicht widerstehen, Grundlage einer Sammlung gestohlener Kostbarkeiten. Noll stellt den Frauen als Kontrapunkt Andreas Haase gegenüber, ein Name, der ihr die Möglichkeit gibt, ihre Wortspielereien unterzubringen: Da ist „der Hase im Pfeffer begraben“, schleichen „Hasenfüße“ und hoppeln „Angsthasen“ durch die 320 Seiten des Romans. Haase ist der Ex-Partner der Wolkeninterpretin Jelena, verkrachter Uhrmacher, alkoholsüchtig, von Hartz IV lebend. Sein schicksalhafter Fehler: Er will sich den Finderlohn für eine von Nina liegengelassene Handtasche mit sexuellen Gefälligkeiten bezahlen lassen. Dagegen wehrt sich Nina so vehement, dass Haase zu Boden geht. Weitere Begegnungen Haases mit Nina und ihrer Freundin Franzi eskalieren. Schließlich sehen Nina und Franzi keinen anderen Ausweg, als den Mann endgültig loszuwerden. Die kräuterkundige Nina serviert ihm zur „Tea Time“ ein Gebräu mit Blättern vom Eisenhut. Wie in anderen Romanen Nolls greifen auch hier die Protagonistinnen zum Gift als letztem Mittel gegen ihren Widersacher. Gift ist nach Überzeugung Nolls eine typisch weibliche Waffe. Schon immer habe die Krankenpflege mit demWissen um heilende und giftige Kräuter weitgehend in weiblicher Hand gelegen. „Und wenn es schließlich um die Beseitigung eines unliebsamen Mitmenschen ging, ließen sich Frauen aus verständlichen Gründen ungern auf einen Nahkampf ein. Sie mussten sich etwas Schlaueres einfallen lassen, um nicht erwischt zu werden.“ Neben den sechs Spinnerinnen weitet Noll den Blick auf andere sonderbare Figuren. Da ist Ninas Hausmitbewohner Yves, der als Mitwisser und Helfer in den tödlich endenden Streit mit Haase hineingezogen wird. Zwischen Nina und dem schrulligen Nerd entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung, die auch durch denselben Spleen eines bestimmten Einschlafrituals gestärkt wird. Nolls Roman ist der erste, der explizit in ihrer baden-württembergischen Heimstadt Weinheim spielt. So wohnen Nina und ihre Freundin in einem Fachwerkhaus am Marktplatz, der Garten des Hermannshofs bietet Nina Motive für ihre Pflanzenfotografie. Und ein Club-Ausflug führt zu einem Geheimgang unter der über Weinheim thronenden Burg Windeck. Noll kommt damit der Anregung ihrer Mitbürger nach, „dass unser friedliches Städtchen einmal zum Zentrum eines Verbrechens werden sollte – aber nur in der Theorie!“ Julia Giertz Ingrid Noll: „Tea Time“ (Diogenes, 320 Seiten, 25 Euro) Die Figuren in Ingrid Nolls neuem Werk „Tea Time“ sind nicht nur komisch, sondern auch skrupellos Schriftstellerin Ingrid Noll auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Foto: Sebastian Gollnow/dpa Der Musiker Per Gessle. Foto: Warner Music/dpa Im Geist der Nostalgie Ich habe früh entschieden, dass wir auf diesen Sound aus den späten 80ern, frühen 90ern setzen sollten, wo mein Herz im Grunde liegt“, sagte Gessle vor der Veröffentlichung des Albums „Pop-Up Dynamo!“. Anstatt sich zu sehr neuen Formaten anzupassen, sei es besser, an dem festzuhalten, worin man gut sei. „Gleichzeitig wollte ich nicht nostalgisch oder zu retro sein. Ich wollte auch modern klingen“, betont der mittlerweile 63 Jahre alte Schwede. Herausgekommen sei ein temporeiches Popalbum. „Es ist ein Mischmasch aus 1989 und 2022 – oder 2021, als es aufgenommen wurde“, so Gessle. 1989 – um dieses Jahr war die große Zeit von Per Gessle und Marie Fredriksson. Als Roxette reihten die beiden Schweden einen Welterfolg an den anderen, darunter „The Look“, „Listen To Your Heart“ und „It Must Have Been Love“. Sie verkauften weltweit etwa 80 Millionen Alben. Gessle schrieb dabei die Songs, während Frederikssons umwerfende Stimme zu einem Dauerbrenner auch in deutschen Radios wurde. 2016 gaben Roxette ihr letztes Konzert. Am 9. Dezember 2019 starb Fredriksson im Alter von 61 Jahren nach langem Kampf gegen Krebs. Gessle verarbeitete das unter anderem auch musikalisch, ein Jahr nach ihrem Tod kam die Song-Sammlung „Bag Of Trix“ mit unveröffentlichten und teils verschollenen Roxette-Aufnahmen heraus. Auf Roxette folgt nun also PG Roxette, auf die Welthits von damals das Album „Pop-Up Dynamo!“, das Marie Fredriksson gewidmet ist. Der Sound bleibt gleich, eine kaum ersetzbare Stimme muss jedoch ersetzt werden. „Das ist ein neues Kapitel, das beginnt“, sagt Gessle. „Es hätte sich seltsam angefühlt, ein Roxette-Album ohne Marie zu machen.“ Statt Fredriksson sind nun die langjährigen BackgroundSängerinnen Helena Josefsson und Dea Norberg zu hören. „Pop-Up Dynamo!“ ist damit anders als Musik von Roxette, aber irgendwie auch nicht. Gleich in den ersten Sekunden fühlt sich „Walking On Air“, der starke erste und bereits vorab veröffentlichte Track der Platte, wie eine Autofahrt in den 90er Jahren mit aufgedrehtem Radio an. Die Stimmen von Gessle, Josefsson und Norberg laden zum Mitsingen ein, die Melodien mehrerer der insgesamt elf Songs bleiben geschmeidig im Ohr. Zur Albummitte, etwa bei „You Hurt The One You Love The Most“ und „Jezebel“, wird die Musik dann teils ruhiger und nachdenklicher, zwischendurch bei „The Loneliest Girl In The World“ – trotz des traurig anmutenden Titels – wieder hörbar fröhlicher. Dieser Mischung aus Fröhlichem und Nachdenklichem, die auch Roxette prägte, ist Gessle also auch heute noch treu geblieben. Er versucht nicht, Lady Gaga oder Justin Bieber zu sein. Dabei schreckte Gessle auch nicht davor zurück, die alten Synthesizer aus dem Keller zu holen. Der Schwede räumt ein, dass „Pop-Up Dynamo!“ etwas anderes sei als die heutige Popmusik. Das Album höre sich so ganz anders als alles andere an, was heute musikalisch im Umlauf sei. „Die meiste Popmusik wird heute auf Laptops oder in diesem Stil gemacht“, sagt er. „Es ist eine Entwicklung, die die Musik ein wenig begrenzt hat.“ Gessle selbst bleibt innerhalb seiner alten Wohlfühlgrenzen – denen von Roxette. Steffen Trumpf/ Thomas Bremser Marie Fredriksson und Per Gessle bildeten das Pop-Duo Roxette. Drei Jahre nach Fredrikssons Tod bringt Gessle ein Albumheraus, das ihren gemeinsamen Bandnamen trägt und an alte, poppige Zeiten erinnert

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