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SPORT Eishockey SAP Garden – Heimat für Bullen und Bienen SEITE 22 21 SPORT ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 29./30. 10. 2022 WWW.ABENDZEITUNG.DE TELEFON089 23 77-3100 E-MAIL SPORT@ABENDZEITUNG.DE Motorsport Christian Danner im AZ-Interview SEITE 27 „ManmussVerantwortungübernehmen, den Kindern auch Zuversicht vorleben“ AZ: Herr Neureuther, vergangenes Wochenende startete der Alpine Ski-Weltcup in Sölden in die neue Saison. Bei sommerlichen Bedingungen, auf einem schmelzenden und sterbenden Gletscher, mutet das in Zeiten des Klimawandels nicht wie surrealer Anachronismus an? FELIX NEUREUTHER: Ich bin nicht aus Prinzip gegen Gletscherrennen an sich, ich finde aber, dass sich der Skisport neu orientieren muss. Wir müssen erkennen, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, zwischen Juli und September auf Gletschern in Mitteleuropa zu trainieren, das ist nur noch ein Kampf oder besser gesagt ein Krampf um die letzten Eisreste. Der Winter, die kalten Temperaturen setzen immer später ein, daher sollten wir einsehen, dass ein Saisonstart im Oktober der falsche Zeitpunkt ist. Ende November, das macht viel mehr Sinn, dafür könnte man die Saison auch Richtung April verlängern. Viel Diskussionsstoff lieferte zuletzt die umstrittene, inzwischen abgesagte MatterhornAbfahrt. Gegner bezeichneten das Mega-Spektakel als reines Publicity-Event ohne Rücksicht auf die Natur. Ich habe nichts gegen die Abfahrt dort an sich. Unter dem Matterhorn könnte das bei meterhohem Naturschnee ein grandioses Frühjahrsevent mit tollen Bildern werden. Aber auch hier war der Zeitpunkt völlig falsch. Alle Fachleute waren sich eigentlich einig, dass das um diese Jahreszeit nicht funktionieren kann, doch das schien die Entscheidungsträger in der FIS nicht zu interessieren. So sah man jetzt da oben Bagger beim Zuschütten der Gletscherspalten. So gewinnt man keine Fans für den Skisport. Der Skisport ist durch den hohen Ressourcenverbrauch schon immer angreifbar. Statt zu zeigen, dass man verstanden hat, was gerade auf unserem Globus passiert, macht man sich mit solchen Aktionen unglaubwürdig. Wir lieben ja den Rennsport, und wir brauchen für die vielen Skifans grandiose Wettkämpfe, aber immer unter der Prämisse, wie man auch seinen eigenen Teil zu den Problemen des Klimawandels beitragen kann. Die Kritik richtet sich auch aus Athletenkreisen vor allem gegen den neuen FIS-Präsidenten Johan Eliasch, wegen der Matterhorn-Abfahrt, aber auch wegen des viel zu vollen Kalenders. 42 Rennen stehen diesen Winter bei den Frauen an, 43 bei denMännern, so viele wie noch nie zuvor. Wen hat der Mann um sich? Halten Sie ihn für beratungsresistent? Johan ist angetreten, möglichst viel Geld aus dem Rennsport herauszuholen. Eine Maßnahme war, noch mehr Rennen in den eh schon prall gefüllten Kalender zu integrieren. Ob das Sinn macht, ob man damit auch die Gesundheit der Sportler aufs Spiel setzt, darüber macht er sich leider wenig Gedanken. Er will mit dem alpinen Skisport den Weg der Formel 1 einschlagen, nur ist das völlig abwegig. Skisport ist nicht wie Formel 1 und wird es nie sein. Auch seine Vision, den amerikanischen oder asiatischen Markt neu erobern zu wollen, wird nicht funktionieren. Der alpine Skisport ist in den Alpen daheim, deswegen sollten wir dort bleiben, wo sich die Leute damit identifizieren und dem Sport diese spezielle Aura geben. Aber selbst wenn die Menschen in Hochburgen wie Garmisch oder Kitzbühel Lust auf Skisport haben, in Orten, die zwischen 700 und 800 Höhenmeter liegen, ist Skisport dort angesichts einer seit Jahren immer weiter nach oben steigenden Schneegrenze überhaupt noch zu vertreten? Ich weiß nicht, wie es in 50 Jahren aussieht, wenn es so weitergeht, dann wird es sicher schwierig. ImMoment sehe ich zumindest zwischen Januar und März eine absolute Berechtigung dafür. Viele Skigebiete haben extrem nachgebessert und sind auf dem neuesten Stand, dort läuft die Beschneiung inzwischen CO2-neutral. Ich denke auch an den Breitensport und an die Jugend. Man darf den Menschen die Freude am Skifahren nicht nehmen. Natürlich sollte sich jeder hinterfragen, ob jede Reise mit Auto oder Flugzeug nötig ist. Aber ich bin kein Freund davon, jemandem zu verbieten, in den Urlaub zu fahren oder zu fliegen oder zum Skifahren zu gehen. Was aber dachten Sie, als Sie davon hörten, dass die Asiatischen Winterspiele 2029 in Saudi-Arabien stattfinden? Völliger Schwachsinn, da fällst du echt vom Glauben ab, weit entfernt von jeglicher Realität und Rationalität. Ich hab’s erst für einen schlechten Witz gehalten. Ich war ja überzeugt davon, die Olympischen Winterspiele in Peking seien das i-Tüpfelchen einer falschen Vergabe gewesen. Es geht aber offensichtlich noch grotesker. Die sollen von mir aus auf den Dünen sandskifahren, aber nicht Wintersport in IndoorHallen verlegen, die extrem viel Energie schlucken. Unfassbar! Unser Sport findet in der Natur und in den Bergen statt, dort wo es kalt ist und wo es auch schneit, nur dort hat er seine Berechtigung. Sie reden von den Bergen: Wie erleben Sie im Werdenfelser Land die Bedrohung Ihrer Heimat durch den weiter steigenden Tourismus? Sehr extrem. Als Kind bin ich mit meinen Eltern oft hoch zum Eibsee, ein wirklich paradiesischer Ort, es gab eine unbelastete Natur, man fand Ruhe. Wenn du heute an einem schönen Wochenende oder in den Ferien dort entlang gehst, dann bist du eher frustriert und geschockt. Dieser See ist zu einem Hotspot geworden, die Leute hinterlassen ihren ganzen Müll und auch ihre Exkremente. Es macht mich fassungslos, wie wenig Respekt solche Menschen der Natur entgegenbringen. Wir Einheimischen suchen uns schon längst ganz andere Orte, die nicht so bekannt sind. Als dreifacher Vater, haben Sie Angst, in welche Welt Ihre Kinder da hineinwachsen, mit Krieg, mit Krisen, mit Umweltzerstörung? Oder was gibt Ihnen Zuversicht? Wenn Du die Nachrichten anschaust und Zeitung liest, kannst du wirklich Angst bekommen. Aber wenn du deswegen trübsinnig durchs Leben läufst, dann wird die Welt auch nicht besser und deine Kinder werden depressiv. Im Gegenteil, man muss Verantwortung übernehmen, den Kindern Zuversicht und Optimismus vorleben. Es ist in der Verantwortung aller Eltern, als gutes Vorbild voranzugehen, Werte zu vermitteln, die Kinder rauszubringen in die Natur und dass wir sie erziehen, achtsam mit der Umwelt umzugehen und sie zu schützen. Es gibt auch viele Menschen, die mit ihrer Einstellung an Lösungsvorstellungen für ein vernünftiges Miteinander zwischen Mensch und Natur arbeiten. Aber die Menschheit ist doch per se jene Spezies, an deren Dummheit man am liebsten verzweifeln möchte. Manchmal schon. Es gibt aber auch wunderbare Gegenbeispiele. Kürzlich war ich im Ultental in Südtirol bei einer Familie, die aus ihrem Kräutergarten und aus dem Wald großartige Naturprodukte wie eine Salbencreme herstellt. Ich war so begeistert davon, dass ich zur Oma sagte, warum sie das nicht vermarkten würde, das würde sich garantiert gut verkaufen. Aber diese alte und weise Frau sagte nur: „Woascht wos, Felix, mir san zufrieden, so wia’s is.“ Und da hat sie ganz recht. Solche Menschen zu treffen, die sich mit dem bescheiden und mit dem zufrieden sind, was sie haben, die fröhlich durchs Leben gehen und die ein strahlendes Glänzen in den Augen haben, nur wenn sie eine schöne Blume sehen, das gibt mir wirklich Hoffnung. Interview: Florian Kinast Die deutsche Ski-Legende Felix Neureuther spricht exklusiv in der AZ über den Skisport im Zeichen des Klimawandels, über Ballermann-Exzesse in der Idylle und Begegnungen, die Hoffnung machen AZ- INTERVIEW mit Felix Neureuther Der 38-Jährige aus Garmisch-Partenkirchen(Foto: lübmedia/dpa) war Deutschlands bester Skifahrer dieses Jahrtausends, er war TeamWeltmeister 2005, holte WM-Silber im Slalom 2013 und drei Mal WM-Bronze (2013, ‘15, ‘17). Seit dem Karriereende 2019 arbeitet er als TV-Experte. Er engagiert sich für die Umwelt, hat das Buch „Rettung für die Alpen“ veröffentlicht.

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