Kliniken & Fachärzte
14 Kliniken und Fachärzte Die Wikinger-Krankheit: wenn die Hand zur Klaue wird Von Morbus Dupuytren gekrümmte Finger können durch eine Operation wieder gestreckt werden Es beginnt ganz unscheinbar mit einem kleinen, meist schmerzlosen Knubbel in der Handfläche. Aber bei Morbus Du- puytren, auch Wikinger-Krankheit ge- nannt, können sich Finger auf Dauer so weit krümmen, dass die eigenen Nägel Löcher in die Handfläche drücken. So weit muss es nicht kommen. Was steckt eigentlich hinter der Krank- heit mit dem komplizierten Namen? Es handelt sich laut Prof. Dr. med. Hermann Krimmer vom Zentrum für Handchirurgie in Ravensburg um eine „gutartige Bin- degewebserkrankung“, die mindestens 1,3 Millionen Patienten in Deutschland betrifft. Sie ist weder lebensbedrohlich noch schmerzhaft, kann aber die Le- bensqualität stark verschlechtern. Zwischen der Haut und den Sehnen liegt in der Handinnenfläche eine derbe Bin- degewebsschicht namens Palmarapo- neurose. Diese ist es, die bei Morbus Du- puytren erkrankt. Im gesunden Zustand verleiht sie der Handfläche zusätzliche Stabilität – im kranken „bildet sie Kno- ten und Stränge“, erklärt Priv.-Doz. Dr. med. Elias Volkmer, Sektionsleiter der Handchirurgie am Helios Klinikum Mün- chen West. Diese bemerken Betroffene als Knubbel oder Verhärtungen unter der Haut. Oft wird auch die Haut ein biss- chen nach innen gezogen. „Vorbeugung gibt es nicht“ Patienten mit diesen ersten Krankheits- anzeichen wollen laut Prof. Krimmer meist wissen, was sie tun können, damit die Krankheit nicht fortschreitet. Krim- mers klare Ansage lautet: „Vorbeugung gibt es nicht.“ Auch mit einer zu frühen Operation bestehe die Gefahr, den Ver- lauf eher zu beschleunigen, als zu stop- pen. Das sieht auch Elias Volkmer so: „Wenn man einen Menschen mit Knub- beln operiert, kann das nach hinten los- gehen, weil es den Morbus Dupuytren aktivieren kann.“ Volkmer warnt auch davor, die Hand zu stark zu dehnen, um gegen eine begin- nende Krümmung anzukämpfen: „Ich glaube, dass man dadurch eher die Krankheit beschleunigt.“ Bewegen sei gut, starkes Dehnen nicht. Überhaupt kann man sich kaum davor schützen, die Wikinger-Krankheit zu bekommen. Die einzig gesicherte Ursache ist genetisch. Da früher davon ausgegangen wurde, dass nur Nachfahren der Wikinger die krankheitsauslösenden Gene tragen, be- kam die Fingerkrümmung den Namen Vi- kings-Desease oder Wikinger-Krankheit. Inzwischen sind jedoch auch Fälle be- kannt, in denen keine Wikinger-Gene im Spiel sind. Morbus Dupuytren heißt die Krankheit nach dem französischen Chi- rurgen Baron Guillaume Dupuytren, der im Jahr 1832 als Erster die Symptome und den Verlauf beschrieb. Auch der hohe Alkoholkonsum der Wi- kinger trug angeblich dazu bei, dass bei vielen von ihnen Morbus Dupuytren aus- brach. Auch heute noch sehen manche Wissenschaftler einen Zusammenhang nach der Operation muss laut Prof. Krim- mer eine physio- oder ergotherapeuti- sche Behandlung durch einen Handspe- zialisten erfolgen. Fähige Therapeuten finde man am besten über die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Handtherapie, DAHTH. Wurde nur ein Finger gestreckt und bleibt dieser nach der Operation gerade, sieht Dr. Volkmer über die Handtherapie hinaus keinen weiteren Behandlungsbe- darf. Sind jedoch bereits Sehnen ver- kürzt und die Finger wollen sich aus Ge- wohnheit wieder krümmen, rät er, drei Monate lang eine „Nachtlagerungsschie- ne“ an der betroffenen Hand zu tragen. Diese verhindert, dass sich die Finger in der Nacht beugen können. „Die Schiene und die aktive Therapie gehören zusam- men,“ findet Prof. Krimmer. Sie müsse nach starken Verkrümmungen am zwei- ten Tag nach der Operation, wenn der Verband entfernt wird, sofort angelegt werden. Sonst komme es leichter zu ei- nem Rückfall. Der Erfolg der Operation hängt also auch an der Disziplin des Pa- tienten. Trägt dieser die Schiene nicht, kann das schlimme Folgen haben: „Wenn die Finger wieder zwei Wochen gebeugt sind, ist alles wieder beim Teu- fel,“ warnt Dr. Volkmer. Krankheit kommt oft zurück Gefeit vor einem erneuten Ausbruch der Krankheit ist ohnehin niemand. 200 Pa- tienten kommen jährlich mit Morbus Du- puytren in die Ravensburger Handchi- rurgie. 120 davon werden laut Prof. Krimmer operiert – 20 bis 25 Prozent zum wiederholten Mal. Nach einer offe- nen Operation können 80 Prozent der Patienten fünf Jahre später noch ihre Finger gerade strecken. Wer Glück hat – oder erst in hohem Alter an Morbus Du- puytren erkrankt – bleibt für den Rest seines Lebens beschwerdefrei. Tritt die Krankheit aber früh zum ersten Mal auf, kommt sie höchstwahrscheinlich wie- der: „Je jünger der Patient, desto ag- gressiver der Dupuytren“, meint Dr. Volkmer. Das bedeutet dann unter Um- ständen etliche Operationen im Verlauf der Jahre. Ulrike Kühne i Weitere Informationen: www.dahth.de , www.dupuytren-online.de gezahlt wird. Hierbei wird in das verhär- tete Gewebe Kollagenase gespritzt. „Der Strang wird von innen durch das Enzym aufgelöst “, sagt Dr. Volkmer. Einen Tag nach der Spritze muss der Patient erneut in die Ambulanz kommen. Der Arzt zer- reißt dann die aufgeweichten Stränge. Da dieses Verfahren nicht erfolgreicher – aber sehr viel teurer – als das „Nadeln“ ist, haben die deutschen Krankenkassen nach einer Testphase die Zahlung der Methode eingestellt. Das Medikament ist laut Prof. Krimmer in Deutschland „auch nicht mehr im Handel“. Narbe in Zick-Zack-Form Am weitaus häufigsten wird Morbus Du- puytren mit der sogenannten „offenen Methode“ operiert – je nach Schwere- grad ambulant oder stationär. Hierbei stoppt der Arzt die Blutversorgung der Hand durch eine Manschette am Ober- arm. Das ist wichtig, damit er in dem feinteiligen Gewebe überhaupt etwas sehen und Blutgefäße und Nerven von dem Dupuytrengewebe trennen kann. Anschließend löst er im Zick-Zack- Schnitt die Haut der Handfläche ab. Die Zick-Zack-Form ist wichtig, „weil die Narbe sich später zusammenzieht“, so Dr. Volkmer. Ein gerader Schnitt würde zu einer geraden Narbe führen, die sich in der Heilungsphase zusammenziehen würde und damit den Finger wieder krümmen könnte, der gerade operativ gestreckt wurde. Aus der geöffneten Handfläche entfernt der Chirurg das kranke Bindegewebe. Das sei „sehr heikel“, so Prof. Krimmer, weil dünne Blutgefäße und Nerven mit dem Gewebe verwachsen sind. Auch Sehnen und Knochen müssen laut Dr. Volkmer berücksichtigt werden. „Man muss sich sehr gut auskennen, damit man nicht aus Versehen Nerven durch- schneidet.“ Er empfiehlt daher, einen Morbus Dupuytren unbedingt von einem erfahrenen Handchirurgen operieren zu lassen. Hauchdünne Blutgefäße Das sei umso wichtiger, meint Prof. Krimmer, da es selbst bei Experten vor- kommen könne, dass die hauchdünnen Blutgefäße oder Nervenbahnen geschä- digt werden – und dann müsse der Ope- rateur in der Lage sein, die Schäden wieder zu beheben, um Funktion und Gefühl in der Hand vollständig zu erhal- ten. Dennoch bleibt immer ein Restrisi- ko von Durchblutungsstörungen in den ersten Stunden und Tagen nach der Ope- ration. Deshalb hält Prof. Krimmer es für wichtig, die offene Operation bei starker Verkrümmung oder wiederholt auftre- tender Krankheit auf jeden Fall stationär durchzuführen. So wird der Patient rund um die Uhr überwacht und eventuell auftretende Probleme können sofort be- hoben werden. Mit der Operation ist der Kampf gegen die Wikinger-Krankheit aber noch nicht gewonnen. Am zweiten oder dritten Tag zum Arzt zu gehen, „weil Gelenke durch lange Fehlstellung und Fehlbelastung geschädigt werden.“ Welche Behandlungsmethode die richti- ge ist, hängt von der Ausprägung der Krankheit ab. Ist nur ein Finger betrof- fen oder sind es mehrere? Wie stark ist die Krümmung? Bei leichten Fällen, „wenn der Strang zentral mittig verläuft und in erster Linie die Grundgelenke be- troffen sind“, so Prof. Krimmer, komme die sogenannte Nadelfasziotomie in Fra- ge, kurz „Nadeln“ genannt. Das „Nadeln“ kann ambulant durchge- führt werden. Der operierende Arzt „durchstichelt mit der Nadel die Stränge so lange, bis sie kaputt genug sind, um sie zu zerreißen,“ erklärt Dr. Volkmer. Er sieht die Methode in bestimmten Fällen als erfolgversprechend. Wenn das Na- deln nicht den gewünschten Erfolg brin- ge, drohe „im schlimmsten Fall eine OP“. Gelingt das Nadeln, führt es laut Prof. Krimmer „zu sehr guten Ergebnissen“. Was bedeutet: zu geraden, beweglichen Fingern ohne lange Heilungsphase. Da die Reste der zerstörten Stränge jedoch in der Hand verbleiben, können sie sich wieder verbinden und weiter wachsen. So kann es relativ bald wieder zu einer neuen Krümmung kommen. Einen ähnlichen Ansatz wie die Nadel- fasziotomie verfolgt die Kollagenase-In- jektion. Eine operationsfreie Therapie, die in Deutschland aber selten durchge- führt und nicht von den Krankenkassen zwischen Alkohol- und Tabakkonsum und der Fingerkrümmung. Dr. Volkmer vermutet, dass Alkohol, Rauchen und Diabetes die genetische Anlage für Mor- bus Dupuytren aktivieren könnten. Die Deutsche Dupuytren-Gesellschaft (DDG) vermutet als Ursache der Krankheit „eine erbliche Veranlagung, kombiniert mit einem Auslöser“. Das könnte eine Verletzung oder eben aber auch exzessi- ves Trinken sein. Eine Patientenumfrage zeige außerdem, dass bei Rauchern die Dupuytren-Krankheit etwa sieben Jahre früher beginne als bei Nichtrauchern. Prof. Krimmer dagegen sieht keinen Kausalzusammenhang: „Alkohol und Rauchen verstärkt jede Krankheit.“ In jedem Fall sei es besser, darauf zu ver- zichten, um den Verlauf nicht zu be- schleunigen. Je nach Aggressivität der Wikinger- Krankheit kann es zwischen einem Jahr und 30 Jahren dauern, bis das entlang der Sehnen verhärtete Bindegewebe dazu führt, dass ein oder mehrere Finger sich bis hin zur Handfläche krümmen und sich nicht wieder strecken lassen. Meistens sind der Ringfinger und der kleine Finger betroffen. Morbus Dupuyt- ren tritt laut Prof. Krimmer normaler- weise zwischen dem 50. und 70. Lebens- jahr auf – bei Männern deutlich früher und häufiger als bei Frauen. Da die Krankheit meist langsam verläuft, muss sie oft gar nicht behandelt werden. Wer mit 70 die ersten Anzeichen spürt, wird die extremste Ausprägung oft nicht mehr erleben. Da aber die Hand das wichtigste Werk- zeug des Menschen ist, behindern ge- krümmte Finger im Alltag enorm, selbst wenn meist keine Schmerzen auftreten. Nur in den Phasen, in denen Knubbel oder Stränge wachsen, tun sie manch- mal etwas weh. Das erledigt sich meist, wenn sie verhärten oder abschwellen. Unangenehm sind durch die Krümmung gelegentlich auftretende entzündete Hautfalten. In Ausnahmefällen können die Verhärtungen auch einen Nerv ein- klemmen oder zusammendrücken – dann muss etwas gegen die Krankheit unter- nommen werden. OP bei hohem Leidensdruck Behandlung bedeutet bei Morbus Du- puytren oft Operation. Darüber nach- denken sollte man laut Prof. Krimmer frühestens, „wenn man seine Hand nicht mehr flach auf den Tisch legen kann.“ Den einen richtige Zeitpunkt für eine Operation gibt es nicht. Er hängt immer vom persönlichen Leidensdruck und dem Krankheitsverlauf des Patienten ab. Ein Schreiner oder ein Pianist werden sich früher operieren lassen wollen als Men- schen, die beruflich weniger stark auf ihre Handfunktion angewiesen oder be- reits pensioniert sind. Für Volkmer sollte an eine Operation ge- dacht werden, wenn bei mindestens ei- nem Finger das Grundgelenk 30 Grad ge- beugt ist oder das Mittelgelenk sich zu beugen beginnt. Er warnt davor, zu spät Der Finger krümmt sich und lässt sich nicht mehr strecken. Fotos: Krimmer Nach der OP: der kleine Finger mit typischer Zick-Zack-Narbe. Priv-Doz. Dr. med. Elias Volkmer. Foto: Shinji Minegishi/mhand Prof. Dr. med. Hermann Krimmer. Foto: Krimmer GUT ZU WISSEN: Nicht jeder Knoten in der Handflä- che ist ein Symptom der Wikinger- Krankheit. Deshalb weist die Deut- sche Dupuytren-Gesellschaft darauf hin, dass der Gang zum Arzt der ers- te Schritt sein sollte, wenn jemand Knubbel oder Verdickungen in der Handfläche bemerkt. Dies betreffe vor allem junge Patienten. Denn die Knoten können zum Beispiel auch durch Zysten, Entzündungen oder Krebs entstehen.
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